Ulrich Land
Das kennen wahrscheinlich sämtliche Schreiberlinge, die sich mit dem Abfassen von Texten größerer Ausmaße befassen: Segen und Fluch, Enge und Strenge der selbst gemachten Vorgaben. Wer der Agenda des Schreibtischs Hörspiele, Theaterstücke, längere Erzählungen und/oder Romane zumutet, also die »große Form«, der legt Personenprofile und Soziogramme an, schreibt Exposees (wer hasst sie nicht!) und Konzepte, bastelt Listen und Tabellen …
Wenn man sich etwa ums Zusammenstellen von Profilen für die Protagonisten drückt, schießt man unweigerlich ein Eigentor. Was ich regelmäßig zu tun pflege. Indem ich jedes Mal so blöd bin, die Steckbriefe für meine Hörspiel- oder Romanfiguren erst aufzustellen, wenn ich schon mitten im Schreiben stecke, im Inszenieren, Formulieren und Fabulieren. Und dann ist es meistens zu spät. Wenn ich nämlich, was weiß ich, auf der Hälfte der Strecke anfange, die Personen durch eine eigenständige Spreche unterscheidbar zu machen, zieht das einen Riesenrattenschwanz nach sich. Nicht nur, dass man durch »Strg H« einzelne Wörter bei der jeweiligen Figur, und nur bei dieser,durch andere ersetzen muss. Um meinetwegen den Gebrauch des Wortes »blöd« zu regulieren und nur einer bestimmten Romanheldin zu gestatten, und das Wort »voll blöd« einem anderen Vorkämpfer. Man muss über einzelne Wörter hinaus den gesamten Duktus der einzelnen Personen durchstylen: Welche sprachlichen Vorlieben haben sie? Fluchen sie gern, kuschen sie lieber, schleimen sie fleißig, provozieren sie auf Deibel komm raus und komm rein? Benutzen sie antiquierte Formulierungen, befleißigen sie sich der Jugendsprache, pflegen sie zirzenhaftes Liebesgesäusel, quasseln sie in breitestem Balina Dialekt?
So lege ich mir immer wieder viel zu spät Listen von Flüchen, Phrasen, Wörtern an, die ich den einzelnen Heldinnen und Helden ins Maul zu schreiben gedenke. Muss dann aber diese Selbstauflagen mit den verdammten bereits geschriebenen, sagen wir: siebzig Seiten abgleichen. Ein höchst mühseliges Geschäft aus Lesen und Gegenlesen, Durchforsten, Löschen und Korrigieren.
Trotzdem ist aber genau das überlebensnotwendig für den dialoggespickten Roman. Und fürs Hörspiel sowieso. Denn zum einen redet kein Mensch wie der andere, jeder hat seine ureigenste Art, die durchgehalten zu werden verlangt. Und zum andern versetzt vor allem die je unterschiedliche Spreche die Leserinnen und Hörer in die Lage, die quasselnden und streitenden Figuren auseinander – und die Story zusammenhalten zu können.
Wozu eben auch maßgeblich das Soziogramm beiträgt, das man dem Abfassen der Personenprofile tunlichst folgen lassen sollte (das ich allerdings auch viel zu selten anlege). Denn darin zeichnen sich die Beziehungen zumindest der Leitfiguren ab, ihre Verbindungen untereinander, ihre Verwicklungen, ihr Auseinanderdriften. Schließlich sind die Figuren, so eigen sie sein mögen, denn doch untereinander verbandelt. Das gilt selbst für Kafkas passionierte Einzelgänger, auch die leben nicht im luftleeren Raum.
Keine Ahnung, warum ich mich selbst da jedes Mal aufs Neue davor drücke und mit den Profilskizzen erst anfange, wennʾs gar nicht mehr anders geht. Meistens dann, wenn ich selbst nicht mehr durchblicke, wenn ich drohe, den Überblick übers Personal vollends zu verlieren. Jedes Mal nehme ich mir vor, mich im Vorfeld mehr zu disziplinieren. Und jedes Mal, wenn ich dran denke, ist der Füller schon emsig unterwegs, hat die Flucht nach vorn angetreten.
VON DER MÄR, DASS FIGUREN MACHEN, WAS SIE WOLLEN
Dieter Jandt
Volles Verständnis, lieber Uli Land. Mich plagen ähnliche Probleme, wenn es gilt, die Konturen der Charaktere zu schärfen, die sich, womöglich absichtlich, oft erst beim Schreiben profilieren, sich so gesehen selbständig machen, was Autoren und Autorinnen ja immer wieder gerne behaupten, und also wird auch etwas daran sein.
Da würde ich an dieser Stelle gerne von einem Beispiel berichten, wie man solch forschen Figuren das Handwerk legen kann, oder wie man sie am besten wieder loswird.
Ich hatte mal von einem Kriminalschriftsteller gehört, der behauptete, dass man sich Mitspielern im Roman, wenn sie die Handlungabläufe störten, ganz einfach entledigen solle.
Nun saß ich bald darauf an meinem ersten Kriminalroman – »Rubine im Zwielicht« – und hatte eine Figur geschaffen (keinen Hauptdarsteller, aber schon auch wichtig), einen Gemmologen, mit dem ich später nichts mehr anzufangen wusste. Er ließ sich nirgendwo mehr einfügen, er war sperrig, er wurde nicht mehr gebraucht.
Nun macht man ja zumindest mehr oder weniger wichtige Figuren (und dazu gehörte der Gemmologe ja nun doch) »hinten raus« irgendwie »zu«, beziehungsweise deren Schicksal, das heißt, man versucht das Bedürfnis der Lesenden zu befriedigen, die wissen wollen, was aus den Figuren geworden ist.
Dieser Gemmologe trug aber nun mal nicht bis zum Ende des Romans, und ich erinnerte mich an meinen Kollegen. Ich gestehe: Ich schielte nicht allzu lange verstohlen in die Zimmerecke, um nachzudenken, dann ließ ich den Gemmologen schlichtweg »um die Ecke bringen«, so war ich ihn los. Und siehe da: Es funktionierte! Die Handlungsabläufe kamen nicht in gefährliche Schräglagen, zumal ich mir auch während der Arbeiten gerne Auswege offenlasse, Notausgänge, in denen zuvor Unerwartetes passiert. Jedenfalls schien mir diese Lösung eine recht bequeme zu sein, und sie war nicht an den Haaren herbeigezogen, sie fügte sich, wie ich hoffe, nahtlos ein. Was mich zu dem leichten, ja vielleicht leichtsinnig formulierten Satz verleitet: Es gibt also beim Schreiben auch Dinge, die erledigen sich fast von selbst.
Der Begriff Schreibtischtäter beschäftigte mich aber fortan.